Homeschooling, Homeoffice, geschlossene Kitas und Betreuungseinrichtungen: Die Corona-Krise stellt insbesondere Familien mit Kindern vor große Herausforderungen. Doch die Pandemie zeigt auch, was integrierte und ressortübergreifende Planung und Koordination in Kommunen leisten kann. Sechs Erkentnnisse
1. Ressortübergreifende Steuerungsstrukturen stärken
Komplexe Herausforderungen verlangen integrierte Antworten. Dies gilt nicht nur in Krisenzeiten, wird hier jedoch oft besonders deutlich. Zudem kann ein großer Handlungsdruck Kooperation in Verwaltung erleichtern. Damit steckt in der aktuellen Krise auch eine Chance, die ressortübergreifende Zusammenarbeit über Zuständigkeits- und Hierarchiebarrieren hinweg aufzubauen und weiterzuentwickeln. Die Wiederöffnung der Schulen und das Implementieren außerschulischer Angebote stellen Kommunen vor neue organisatorische Herausforderungen. Es geht und wird vermehrt darum gehen, Nutzungs- und Hygienekonzepte zu entwickeln, Raumkapazitäten zu erschließen und Personalressourcen zu bündeln, um den Schutz von Risikogruppen zu sichern. Dabei zeigt sich, was die Zusammenarbeit leisten kann, etwa wenn der Jugendbereich und Schule, Soziales, Gesundheit sowie Stadtentwicklung in der Kommune Hand in Hand agieren, gemeinsame Risikobewertungen von Angeboten entwickeln oder die Nutzung von Flächen und Räumen aus den jeweiligen Bereichen koordinieren. Gerade wenn Ressourcen knapp sind, kann eine intensivere Abstimmung Spielräume schaffen und präventives Vorgehen ermöglichen.
2. Datenbasierte Planung als Entscheidungsgrundlagen nutzen
Planer*innen aus den Bereichen Jugendhilfe, Soziales oder Bildungsmonitoring können konkrete Analysen als Entscheidungsgrundlage liefern und hierfür größtenteils sowohl Entwicklungen der vergangenen Jahre als auch aktuelle Daten bereitstellen, wie z. B. sozialräumlich untergliederte Daten zur Entwicklung häuslicher Gewalt, zu Betreuungsquoten vor Corona, zu SGB II-Quoten oder auch zur Dichte von Wohngebieten und zum Anteil an Grünflächen. Damit können sie wichtige Hinweise liefern, wo Corona-Beschränkungen besonders massive Folgen für Kinder und Familien haben werden, um Angebote entsprechend bedarfsorientiert und präventiv zu steuern. Die Analysen bieten zudem eine wichtige Gesprächsgrundlage für den Austausch mit den Akteuren im Sozialraum. Die Corona-Krise zeigt, wie hilfreich eine höhere Datenkompetenz für ein Mehr an Steuerungskapazität sein kann, wenn die Analysen nah an aktuellen Bedarfen und Fragestellungen der Entscheider*innen andocken.
3. Mit Beteiligung und Netzwerken schnell auf Bedarfe reagieren
Lösungen im Bildungsbereich entstehen häufig in den Einrichtungen und in der praktischen Zusammenarbeit. Auch wenn Kontaktbeschränkungen den Austausch aktuell erschweren, geht es für kommunale Koordinierung darum, die Bedarfe vor Ort zu erfahren, Unterstützung zu organisieren und Hinweise aus der Praxis zu den Entscheider*innen zu tragen. Hier sind bestehende Koordinierungsstellen in den Kommunen gefragt: Präventionsstellen, Stabstelle für integrierte Planung oder Bildungsbüros, die in den letzten Jahren Netzwerke und Kooperationsstrukturen aufgebaut haben, die nun − auch online − mit ihren Einschätzungen und Expertisen aus der Arbeit vor Ort einbezogen werden können: Welche Informationen brauchen Familien? Wo entstehen hilfreiche Lösungen? Wo liegen in aktuellen Abläufen Probleme? Die Erfahrung zeigt, dass der strukturierte Netzwerkaufbau und die regelmäßige Beteiligung der Praxis es ermöglichen, schnell, flexibel und bedarfsorientiert auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren.
4. Innovative Lösungen ermöglichen
Kommunen können innovative Ansätze stärken, indem sie Spielräume schaffen, neue Ideen aufgreifen und erfolgreiche Modelle an neue Herausforderungen anpassen. Während der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie sich Flexibilität, Austausch mit der Praxis und Kooperation mit der Zivilgesellschaft dabei bewähren.
So haben einige Kommunen, wie beispielsweise Hamburg, Modelle umgesetzt, um wegfallendes Kita- und Schulessen zu kompensieren. Die Idee: Was vorher in den Einrichtungen stattfand, gibt es jetzt „to go“. So konnte durch eine flexible Anpassung trotz Corona-Schließung weiterhin ein Angebot für Kinder bereitgestellt werden.
Dabei muss das Rad nicht immer neu erfunden werden. Das Berliner Modellprojekt LernBrücken zeigt, wie bestehende Kooperationen weitergedacht und an Krisensituationen angepasst werden können. LernBrücken bietet zusätzliche Unterstützung und Förderung für benachteiligte Kinder und Jugendliche an. Im Modellprojekt bringen Schule und Jugendhilfe in Zusammenarbeit mit Trägern innovative Lösungen schnell auf den Weg. Für jedes LernBrücken-Angebot wird ein passgenaues Konzept entwickelt, um die Kinder und Jugendliche niederschwellig zu unterstützen. Dazu gehören beispielsweise aufsuchende Gespräche oder Lerngruppen, in denen schulische Inhalte besprochen oder Freizeitangebote gemacht werden. Wenn Bedarf besteht, gehört auch Elternarbeit zu den Programminhalten. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung agiert als Regiestelle, vermittelt den Kontakt zwischen den Trägern und den teilnehmenden Schulen und berät die Träger zur Umsetzung der Angebote. Das Vorbild: die gemeinsamen Erfahrungen aus der Zeit des Zuzugs von Menschen auf der Flucht. Was damals gut funktioniert hat, ist hier durch die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie gemeinsam mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung schnell in einem neuen Ansatz weiterentwickelt worden.
5. Öffentlichen Raum als Bildungs- und Begegnungsort denken
Die Corona-Krise macht erneut deutlich: Lernen findet nicht nur in der Schule, sondern auch im öffentlichen Raum statt. Wenn Schulen, Kitas und Jugendfreizeiteinrichtungen nur teilweise geöffnet sind, fallen Bildungs- und Begegnungsräume weg. Gerade Familien mit wenig Wohnraum sind hier besonders betroffen. Corona zeigt „eine enorme Spreizung der Lebenswirklichkeiten“, wie der Psychologe Stephan Grünewald erklärt: Während die einen Zeit im eigenen Garten verbringen, müssen andere mit mehrköpfigen Familien in zwei Zimmern zurechtkommen. Entsprechend gewinnen Qualität und Gestaltung des öffentlichen Raums aktuell an Relevanz. Gerade hier hat die Kommune Gestaltungsräume, diesen an die Bedürfnisse verschiedener Nutzer*innen anzupassen. Beispiele dafür sind etwa Initiativen, die Straßen stärker der öffentlichen Nutzung zur Verfügung zu stellen. So schafft beispielsweise das Straßen- und Grünflächenamt im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg durch temporäre Spielstraßen mehr Platz für Kinder, Familien und Bürger*innen. Initiiert durch das „Bündnis Temporäre Spielstraßen“ werden ausgewählte Straßenabschnitte zeitweise umfunktioniert. Dabei helfen engagierte Bürger*innen als Kiezlotsen mit und betreuen die Straßen. Gerade für dicht besiedelte urbane Gebiete ist dies eine Möglichkeit, zusätzlichen Raum für Kinder zu schaffen – und während Corona für Entspannung in Wohnungen, aber auch auf Spielplätzen, auf der Straße und in Parks zu sorgen. Darüber hinaus lassen sich auch soziale und Bildungsangebote stärker in den öffentlichen Raum verlegen oder dieser kann mit Kunstprojekten erlebbar gemacht und gestaltet werden – etwa durch Markierungen auf dem Boden, die beispielsweise ans Abstandhalten erinnern. Diese neuen Handlungs- und Nutzungsspielräume sollten auch über die Corona-Zeit hinaus weitergedacht werden.
6. Frühzeitig präventive Strategien entwickeln
Die Konsequenzen aus der Corona-Krise werden nicht kurzfristig sein. Einschränkungen in Lernprozessen und in der emotionalen Entwicklung werden, zumindest für einen Teil der Kinder, immer wahrscheinlicher und die Folgen langfristig spürbar, was sich z. B. an den schulischen Übergängen sowie am Übergang in Ausbildung abzeichnet. Daher gilt es bereits jetzt, diese Bedarfe zu erfassen und die Kommunen durch Bund und Länder zu unterstützen, damit diese mit entsprechenden Angeboten und Maßnahmen reagieren können. Dazu kommt ein steigender Unterstützungsbedarf von Familien. Entsprechend der aktuellen wirtschaftlichen Prognosen lässt sich vermuten, dass auch das Thema Kinderarmut für Kommunen an Bedeutung gewinnen wird und präventive Angebote frühzeitig ansetzen sollten.
Für die kommunale Planung besteht die Herausforderung, frühzeitig strategisch auf diese langfristigen Entwicklungen zu reagieren. Auch wenn die Corona-Pandemie zunächst ein schnelles Agieren notwendig gemacht hat, zeigt sich hier zugleich die potenzielle Stärke präventiver und langfristig gedachter Antworten. Dabei ist besonders das Zusammenspiel von Planung und Politik entscheidend, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Denn auch die Kommunen selbst werden von den Folgen der Corona-Krise betroffen sein und stellen sich auf gravierende finanzielle Belastungen durch wegfallende Einnahmen im Bereich der Gewerbesteuer und steigende Ausgaben ein. Angesichts des Einbruchs der Kommunalfinanzen gilt es bei der Politik für Kinder und ihre Familien Agenda Setting zu betreiben und vorhandene Ressourcen gut abgestimmt und mit integrierten Konzepten gerade da einzusetzen, wo sie besonders gebraucht und langfristig wirksam werden.