Das Spannungsfeld kennen viele: Es gilt, die ganz großen Themen zu bearbeiten, Zukunftsvisionen für die Verwaltung von morgen zu entwickeln und die Rahmenbedingungen für gelingendes Aufwachsen von jungen Menschen zu gestalten. Doch diese hohen Erwartungen drohen mit der kommunalen Realität zu kollidieren. Wenn der Alltag vom Umsetzungsdruck neuer Rechtsanforderungen, der Knappheit der Haushalte, dem Fachkräftemangel und dem Erledigen dringender To-Dos ausgefüllt ist, bleibt wenig Raum zum Bearbeiten übergreifender Fragen – oder?
Beim K360-Festival 2024 wollten wir von Iris Bothe und Dr. Martin Florack wissen: Was bedeutet es für Kommunalverwaltungen, zwischen Veränderungserwartung und der eigentlichen Arbeitsrealität zu agieren?
Auf dem Festival nutzten alle Teilnehmenden das Festival-Du. Deshalb haben wir diesen Beitrag auch in dieser Ansprache verfasst.
Iris Bothe und Martin Florack betonten: Planungsfach- und Führungskräfte in der Kommunalverwaltung können einiges dafür tun, um Komplexität im Arbeitsalltag nicht nur auszuhalten, sondern anzunehmen. Wir haben vier Empfehlungen dafür aus dem Podiumsgespräch zusammengefasst:
1. Der Blick auf das große Ganze eint euch!
Eines steht fest: komplexe Herausforderungen werden nicht in Silos gelöst. Eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit ist dafür – auch um die bestmögliche Lösung zu finden – unerlässlich. Iris Bothe machte deutlich: Dafür braucht es kein bis auf das kleinste Detail heruntergebrochenes Zielsystem. Viel wichtiger ist ein geteiltes Verständnis dafür, dass alle für die gemeinsame Sache arbeiten. Dabei müssen sie nicht immer einer Meinung sein, wie Martin Florack betonte: „Ein stabil ausgehandelter Dissens ist besser als ein unterstellter Konsens“.
2. Nutzt euren eigenen Tanzbereich!
Veränderung passiert nicht einfach so – sie wird von jeder und jedem Einzelnen getragen und gelebt. Es braucht Mut dafür, den persönlichen Handlungsspielraum bestmöglich zu nutzen. Aber: Kleine Veränderungen, z.B. in Form von kurzfristigen und konkreten Praxisveränderungen, sollten in ihrer Wirkung nicht unterschätzt werden. Dabei geht es nicht immer darum, das Rad neu zu erfinden, sagte Martin Florack. Manchmal reicht es schon aus, Regeln zu ergänzen oder auch informelle Räume stärker zu nutzen.
Ergänzend riet Iris Bothe allen Mitarbeitenden der Verwaltung und insbesondere den Planungsfachkräften: „Seid mutig! Nutzt eure eigenen Kompetenzen! Sprecht Handlungsempfehlungen aus, denn Führungskräfte wissen nicht alles. Sie sind auf die Expertise ihrer Mitarbeitenden – also euch – angewiesen!“
„Es gibt eine Menge Dinge, die man selbst gestalten kann. Die Frage ist, worauf konzentrieren wir uns. Es macht Sinn, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die man bewegen kann. Und wir haben als Kommunalverwaltung eine nicht unerhebliche Gestaltungsmacht.“
Iris Bothe, Stadträtin für Jugend, Bildung, Integration und Soziales der Stadt Wolfsburg
3. Arbeitet für die Schublade!
Wer etwas in der Verwaltung verändern möchte, braucht einen langen Atem. Die großen Erfolge werden unter Umständen erst Jahre später sichtbar. Martin Florack betonte, es sei umso wichtiger, die sich bietenden Möglichkeitsfenster zu nutzen. Er riet deshalb: Um für diesen Moment vorbereitet zu sein, lohnt es sich, mehrere Ideen und Vorschläge zum „etwas anders machen“ in der Schublade griffbereit zu haben. Deshalb nutzt doch genau diesen Moment und überlegt: Wie voll sind eure Schubladen?
4. Wer arbeiten kann, kann auch feiern!
„Wir müssen nicht immer zehn Jahre warten, bis wir wertschätzen, was schon passiert ist“ sagte Iris Bothe. Statt auf all das zu schauen, was nicht geklappt hat (und diese Dinge wird es immer geben), sollten wir den Fokus auf das legen, was funktioniert. Das heißt auch: Lieber kleine Schritte gehen als keine. Fragt euch selbst: Macht ihr eure kleinen (und natürlich auch die großen) Erfolge sichtbar – und wenn ja, wie?
Iris Bothe ist Stadträtin für Jugend, Bildung, Integration und Soziales der Stadt Wolfsburg. Mit ihrer langjährigen Verwaltungserfahrung treibt sie Veränderungsprozesse in ihrem Dezernat voran. Darüber sprachen wir bereits mit ihrer Kollegin Petra Ringmann im Kommunen-Podcast. Iris Bothe gibt ihr Erfahrungswissen als Coachin für Führungskräfte weiter.
Dr. Martin Florack ist Geschäftsführer des Wissenschaftscampus NRW in Oberhausen. Außerdem leitet er den Bereich Integrierte Stadtentwicklung und Statistik der Stadt Oberhausen. Er beschäftigt sich mit der politischen Dimension von Transformation, z.B. auch in einem eigenen Podcast.
Über das K360-Festival
Das K360-Festival 2024 fand vom 12. bis 14. Juni in Berlin statt. Über 170 Planungsfach- und Führungskräfte aus der Verwaltung sowie Fachexpert:innen kamen zum Netzwerken, Lernen und Diskutieren ins silent green. Uns und sie alle eint der Wunsch nach Veränderung im Verwaltungshandeln hin zu einem integrierteren Planen und Steuern. Unter dem Motto Kommunen gemeinsam verändern! wurde zusammen geredet, gedacht und auch gefeiert. Weitere Informationen zum Festival finden Sie hier.
Alfred Riermeier
Als langjähriger Familienreferent einer kreisfreien Stadt kann ich die Punkte nur unterstreichen. Ergänzend müssen die Impulse auch von den Spitzen der Verwaltung kommen, um Veränderungen auch zuzulassen. Daneben muß dringend diese Art der Verwaltung in die entsprechenden Ausbildungen der Verwaltung mit aufgenommen werden.
Hier fehlt es noch an Kompetenz und Umsetzungswillen.