Immer mehr Menschen nutzen generative Künstliche Intelligenz (KI) im beruflichen und privaten Alltag. Wie sieht es jedoch in der Verwaltung und ganz konkret der Jugendhilfe aus? In der Kommune gestaltet!-Veranstaltung im März gab Marvin Grote, Jugendhilfeplaner im Landkreis Stendal, Einblicke in die Welt der KI und welche Anwendungsmöglichkeiten er bisher und zukünftig sieht: von smarten Anwendungen, um konkrete Aufgaben zu bewältigen, bis hin zur Unterstützung kooperativer Arbeitsweisen.
Einen ausführlicheren Überblick über generative Sprachmodelle sowie Schritt-für-Schritt-Anleitungen für Anwendungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe finden Sie in der Dokumentation der Kommune gestaltet! vom 25. März 2025.
Marvin Grote war schon immer technisch begeistert und interessiert sich seit der Veröffentlichung von Sprachmodellen im privaten sowie im beruflichen Kontext für deren Gebrauch. Seine Begeisterung für das Thema hat ihn mittlerweile zum Experten werden lassen. Auf seinem LinkedIn-Profil teilt er regelmäßig lesenswerte KI-Tipps. Über diese Leidenschaft und wie er sie im Verwaltungsalltag nutzt, haben wir mit Marvin im Interview gesprochen. Viel Freude beim Lesen, kritisch bleiben und ausprobieren!
K360-Team: Lieber Marvin, in welchen konkreten Anwendungsfeldern helfen dir generative Sprachmodelle bei deinen Aufgaben als Jugendhilfeplaner?
Marvin Grote: Generative KI ist zu meinem persönlichen, kritisch reflektierten Co-Worker geworden – vorausgesetzt, die Prompts stimmen. Generative KI unterstützt mich inzwischen in nahezu jedem meiner Arbeitsprozesse, besonders intensiv bei der Ideenentwicklung für neue Projekte oder Planungsvorhaben mit verschiedenen Akteuren und Zielgruppen. Zwei weitere große Bereiche, in denen ich täglich generative KI einsetze, sind die Recherche von Daten sowie die Visualisierung (Grafikdesign). Dabei gebe ich oft denselben Prompt in unterschiedlichen Sprachmodellen ein, um die Ergebnisse vergleichen zu können.
Ein KI-Prompt ist eine Anweisung oder eine Frage, die an eine künstliche Intelligenz gestellt wird, um eine bestimmte Information zu generieren. Je konkreter die KI über eine Ausgangslage oder Zielvorgaben informiert wird, desto passgenauer sind die Antworten.
K360-Team: Welche Sprachmodelle sind für einen ersten Einstieg in die KI am niedrigschwelligsten in der Nutzung – auch mit Blick auf den Kostenfaktor?
Marvin Grote: Spannende Frage! In meinen Fort- und Weiterbildungen gebe ich einen Überblick über die bekanntesten Sprachmodelle und deren Möglichkeiten. Für den Einstieg empfehle ich ChatGPT, Gemini und den Copilot. Sie alle sind auch in den kostenlosen Versionen gut nutzbar. Andere Modelle bieten wiederrum spannende und einzigartige Funktionen. Mein Tipp: Ausprobieren! Nur so kannst du das für dich passende Sprachmodell finden.

In Bezug auf die Frage, ob sich ein kostenpflichtiges Abo lohnt, sollte man sich vorab die Frage stellen: Welchen privaten oder beruflichen Mehrwert sehe ich in der Nutzung von generativer KI für mich? Wer routiniert mit generativer KI arbeitet, viel recherchiert und stets die neuesten Funktionen nutzen möchte, für den kann sich ein Upgrade schnell bezahlt machen – sowohl hinsichtlich der Zeitersparnis als auch der Ergebnisqualität der Arbeit.
K360-Team: Und welche Anwendung ist für dich und deine Arbeit ein absoluter Game Changer?
Marvin Grote: Ein absoluter Game Changer sind Anwendungen, die es mir ermöglichen, mithilfe von KI gezielt mit eigenen Dokumenten und Notizen zu interagieren und direkt relevantes Wissen daraus zu generieren. So kann man schnell und unkompliziert maßgeschneiderte Analysen, Zusammenfassungen und Mindmaps erhalten, die ausschließlich auf den Inhalten basieren, die ich selbst hochgeladen habe. Natürlich ist der Datenschutz an dieser Stelle ein Thema! Ich nutze hier ausschließlich frei verfügbare Dokumente oder Materialien.
K360-Team: Mit Blick auf Planungsfachkräfte, seien es Jugendhilfe‑, Sozial- oder Bildungsplanende: Welche drei Hacks kannst du ihnen für ihre Arbeit mitgeben?
Marvin Grote: Für den Einstieg in die Arbeit mit KI in diesen Bereichen finde ich diese drei Dinge besonders hilfreich:
Erstens: Passt das Verhalten der KI an eure eigenen Arbeitsweisen und Bedürfnisse an, denn ein kritischer, reflektierter und hinterfragender Chatbot ist erfahrungsgemäß am hilfreichsten für die eigene Arbeit. Fragt euch dafür, welches Verhalten ihr von dem Chatbot erwartet und was euch dabei besonders wichtig ist. Diese Dinge könnt ihr in den Einstellungen personalisieren.
So geht’s:
Marvins LinkedIn Newsletter Nr. 5 – ChatGPT dein kritischer Coworker – mit Schritt-für-Schritt Anleitung
Zweitens: Nutzt generative KI so, dass ihr in jedem eurer Arbeitsprozesse selbst zum Denken und Hinterfragen herausgefordert werdet. Bei der Weiterentwicklung von Ideen kann KI z.B. deine eigenen Überlegungen in verschiedene Szenarien übertragen und konstruktive Fragen stellen. So kann man mit dem Modell einfach mal „rumspinnen“. Oft kommen richtig gute und einzigartige Ansätze dabei heraus.
Drittens: Baut euch ein persönliches KI-Portfolio auf. Ich betrachte generative Sprachmodelle und ihre Ergebnisse oft „nur“ als Basis. Es gibt nahezu für jeden Anwendungsfall kleinere KI-Anwendungen, die besonders gut in sehr speziellen Use-Cases sind. Probiert verschiedene Anwendungen aus und sammelt diese in einem Dokument o.ä., damit ihr zum richtigen Zeitpunkt auf die passende KI zurückgreifen könnt.
K360-Team: Die Nutzung von Chatbots und Co. stehen oft im Zusammenhang mit der eigenen Arbeitserleichterung. Welche KI-gestützten Anwendungen sind denn besonders mit Blick auf kooperative Arbeitsweisen innerhalb der Verwaltung oder sogar gemeinsam mit anderen kommunalen Akteursgruppen denkbar? Und kennst du konkrete Beispiele?
Marvin Grote: Mit Sicherheit gibt es diese – sie sind mir bislang jedoch nicht öffentlich bekannt. Ich glaube aber, dass es bereits zwischen einzelnen Ämtern, freien Trägern oder im Dialog mit Kindern, Jugendlichen und Familien erste Formate gibt, in denen mithilfe von LLMs oder anderen KI-Tools an gemeinsamen Zielen und Visionen gearbeitet wird. Ganz konkret kann das beispielsweise für folgende Anwendungen der Fall sein:
Datenauswertung und Prognosen: KI kann große Datenmengen (z. B. demografische Entwicklungen, Fallzahlen, Bedarfe) schneller auswerten und Muster erkennen. Dadurch lassen sich Bedarfslagen gezielter analysieren und zukünftige Entwicklungen besser vorhersagen – etwa, um frühzeitig den Bedarf an Hilfsangeboten oder Einrichtungen abzuschätzen.
Kooperative Arbeitsprozesse: Ich sehe im Einsatz KI-gestützter Übersetzungs- und Sprachtools ein enormes Potenzial für die Zusammenarbeit mit Familien und Beteiligten. Solche Technologien ermöglichen eine simultane Übersetzung von Informationen in mehrere Sprachen und sind somit ein entscheidender Schritt zum Abbau von Sprachbarrieren. Darüber hinaus können die Inhalte strukturiert aufbereitet und um konkrete Handlungsempfehlungen für die Familien ergänzt werden. Diese technischen Möglichkeiten bestehen bereits heute und ich wünsche mir, dass sie in der Praxis künftig deutlich häufiger eingesetzt werden.
Inhalte mit Hilfe von KI für bestimmte Zielgruppen aufbereiten: Gerade in der Jugendhilfeplanung stehen wir immer wieder vor der Herausforderung, komplexe Inhalte bedarfsgerecht und niedrigschwellig für unsere Zielgruppen aufzubereiten. Mit Hilfe von KI lassen sich komplexe Informationen kind- bzw. jugendgerecht erklären oder Fachtexte in leicht verständlicher Sprache übersetzen. KI wird für mich somit zu einem wichtigen Werkzeug, um barrierefreie Kommunikation (z.B. Leichte Sprache) zu ermöglichen und Menschen wirklich zu erreichen, unabhängig von Alter, Sprache oder ihrem Bildungshintergrund.

K360-Team: Wie kann man Verwaltungen davon überzeugen, KI zu nutzen?
Marvin Grote: Künstliche Intelligenz ist aus meiner Sicht – gerade für Verwaltungen – vor allem ein Haltungsthema. Welche Möglichkeiten und Chancen ergeben sich für Verwaltungen, wenn man dabei alle aktuell bestehenden Risiken im Blick behält? Die Antwort lautet: unglaublich viele! Jede Verwaltung ist unterschiedlich, und genau darin liegt die große Chance der künstlichen Intelligenz: Sie lässt sich flexibel an jede Verwaltungsstruktur anpassen. Dafür braucht es Offenheit, Mut und den Willen, Prozesse neu zu denken – stets mit einem kritischen und geschulten Blick.
Bei Unsicherheiten in der Nutzung sollten datenschutzrelevante Informationen unbedingt weggelassen werden. Stattdessen kann allgemein über ein Thema geschrieben werden, ohne dabei die Inhalte direkt auf die eigene Arbeit zu beziehen. So lassen sich die Vorteile eines Sprachmodells nutzen, ohne datenschutzrechtliche Bedenken zu riskieren.
K360-Team: Ein erster Schritt in Richtung „die richtige Haltung“ finden, ist die Formulierung von Nutzungskonzepten bzw. Leitlinien für die Verwendung von Künstlicher Intelligenz in der eigenen Verwaltung. Hast du hier Beispiele, wie eine Kommune dies gestalten kann?

Marvin Grote: Nicht alle vorhandenen Konzepte sind öffentlich einsehbar, da sich einige noch in der Erarbeitung befinden. Drei mir bekannte Kommunen sind: die Freie und Hansestadt Hamburg, die Stadt Ulm und die Stadt Wien.
Mit Blick über die Landesgrenzen hinaus ist der KI-Kompass der Stadt Wien aus meiner Perspektive sehr empfehlenswert. Gerade die hier beschriebene Herangehensweise dafür, wie Mitarbeitende an das Thema herangeführt werden (Einführungskurse, Formate für einen Erfahrungsaustausch unter den Beschäftigten oder das Format „Prompt Together“), ist aus meiner Sicht ein gelungenes Beispiel dafür, wie der Einstieg in das Thema Künstliche Intelligenz in der Verwaltung strukturiert, niedrigschwellig und zugleich praxisnah gestaltet werden kann.
Solche Formate fördern nicht nur die Kompetenzentwicklung, sondern stärken auch die Akzeptanz und die kollaborative Nutzung von KI-Anwendungen im Arbeitsalltag.
K360-Team: In Deutschland hat beispielsweise die Stadt Hamburg bereits eine eigene DSGVO-konforme KI-Anwendung für Ihre Verwaltung, richtig?
Marvin Grote: Ja, der KI-Assistent „LLMoin“ aus Hamburg ist nun aus der KI-Pilotphase in die direkte Umsetzung übergegangen. Mittlerweile gibt es immer mehr Anbieter, die sichere und DSGVO-konforme Lösungen für Verwaltungen bereitstellen. Diese Anbieter setzen dabei auf große Sprachmodelle, verwalten die Daten jedoch ausschließlich in deutschen Rechenzentren.
K360-Team: Und was sind deine größten Achtungszeichen im Verwenden von KI?
Marvin Grote: Aus meiner Sicht sind dies insbesondere Manipulation, Halluzinationen (also durch Modelle erzeugte Falschinformationen) sowie der Verlust des kritischen Denkens.
Gerade die Gefahr der Manipulation entsteht durch die überzeugende Sprache generativer KI. Inhalte wirken auf den ersten Blick plausibel, was zu unreflektierter Übernahme von Fehlinformationen führen kann. Die sogenannten „Halluzinationen“ zeigen, dass Sprachmodelle gelegentlich falsche, aber überzeugend wirkende Inhalte erzeugen.
Der vielleicht kritischste Punkt ist jedoch der drohende Verlust des eigenen kritischen Denkens: Wer sich ausschließlich auf KI-generierte Ergebnisse verlässt, riskiert, wichtige Fähigkeiten der Bewertung, Analyse und kritischen Reflexion zu vernachlässigen. Genau deshalb braucht es kontinuierlich geschultes Bewusstsein und kritische Reflexion im Umgang mit KI.
K360-Team: Vielen Dank für das spannende Interview, lieber Marvin!
Fazit:
Der Einzug von generativer Künstlicher Intelligenz in die Jugendhilfeplanung bringt neben vielen Achtungszeichen auch neue, kreative Lösungen. Sie ersetzt keine Fachkräfte, sondern kann zu ihrem hilfreichen Begleiter oder – wie Marvin es nennt – zum Co-Worker für die eigene Arbeit werden. Warum auf eine Assistenz verzichten, wenn diese überall zu finden ist?
Nun sind Verwaltungsorganisationen gefragt, sich für dieses Thema zu öffnen, KI-Kompetenzen aufzubauen und einen guten Umgang mit der Technologie zu erlernen. Einige Voraussetzungen sind dafür unerlässlich: den Umgang mit KI gemeinsam abstimmen, Datenschutz beachten, Nutzungskonzepte erstellen, regelmäßige Schulungen durchführen und den Austausch über die Nutzung der KI fördern. Orientierung gibt neben dem im Interview genannten Beispielen auch der European AI Act.
Der European AI Act ist die weltweit erste Regulierung im Umgang mit KI. Sie versucht Handlungsempfehlungen, Standards und Regelungen dafür aufzustellen, wie mit dem Einsatz von KI in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen umzugehen ist.
Unsere Empfehlung: Klein anfangen! Vielleicht haben Sie ja eine 200-seitige Studie auf dem Tisch liegen, welche Sie sich von einer generativen KI zusammenfassen lassen können? Oder Sie holen sich methodische Anregungen für den Ablauf einer nächsten Sitzung? Probieren Sie es einfach einmal aus.